Statistisch tot, biologisch lebendig“ (Sebastian Stollhof)

 

 

Quelle: Verlag: DIE RHEINPFALZ, Publikation: Unterhaardter Rundschau, 26. Juni 2012

 

ALTLEININGEN:
Die Altleininger Burgspieler begeistern bei der Premiere der Komödie
„Kennen Sie die Milchstraße“

 

 

Wenn das Publikum am Ende eines Theaterstücks gar nicht mehr aufhören will zu klatschen, wenn die Schauspieler immer wieder auf die Bühne zurückgeholt und frenetisch bejubelt werden, dann muss die Aufführung eine ganz besondere gewesen sein. Für die Premiere der Altleininger Burgspiele traf dies am Samstagabend ohne Umschweife zu. Die Besucher sahen bei „Kennen Sie die Milchstraße?“ von Karl Wittlinger eine Komödie, die zum herzhaften Lachen einlud – aber auch nachdenklich stimmte.

Vielleicht hatte der eine oder andere Besucher vor der Premiere der diesjährigen Burgspiele ja schon einmal etwas von der Milchstraße gehört. Zum Beispiel, dass die Milchstraße die Galaxie ist, in der sich die Erde und unsere Sonne befinden. Galaxien sind riesige Ansammlungen von Sternen. Oder, dass von der Erde aus für uns rund 6000 Sterne unserer Milchstraße am Nachthimmel mit bloßem Auge sichtbar sind.

Wissen mussten das die Zuschauer aber nicht. Denn in Wittlingers Komödie geht es eigentlich um eine andere Milchstraße. Genauer gesagt, um den Weg von Samuel Kiefer, den er mit seinem Milchwagen zurücklegt.

In der Psychiatrie: Dr. Neuross und Sam – Samuel Kiefer

Dieser Samuel Kiefer ist eine tragische Figur. Als er aus dem Krieg heimkehrt, muss er feststellen, dass er für tot erklärt wurde. „Statistisch tot, biologisch lebendig“, wie er es nennt. In seinem Heimatort will man das nicht ändern. Schließlich sei das damals „ein Affenzirkus“ gewesen, bis er für tot erklärt war, wie ihm bei seiner Rückkehr mitgeteilt wurde. „Der Herrgott hat es eingerichtet, dass jeder bloß einmal auf die Welt kommt. Und das ist gut.“ Was Kiefer zunächst für einen schlechten Witz hält, meint Krumbauer in der Gemeindeverwaltung – im wahrsten Sinne des Wortes – todernst. Der arme „Sam“ kann also nicht in sein altes Leben zurück – und lebt künftig als Johannes Schwarz.

Auf dem Gemeindeamt: Krumbauer und Sam

Der ist „biologisch tot, aber statistisch lebendig“ – sprich: Im Krieg gefallen, was aber niemand weiß. Seinen Pass hatte ihm Kiefer abgeknöpft, um so aus der Fremdenlegion entlassen zu werden. Seine Papiere hatte er verloren. Doch auch als Johannes Schwarz wollte es das Schicksal nicht gut mit dem armen Mann meinen. Der „echte“ Schwarz wird nämlich steckbrieflich gesucht.

In der Versicherung: Dr. Tresser und Sam

Und so wird Samuel Kiefer verhaftet – und für verrückt erklärt. Seine wahre Geschichte will ihm nämlich niemand glauben.

In der Kneipe: Salvatore und Sam

Aus der Haft entlassen, landet er auf der Suche nach Arbeit in der Todeskugel, wo er als Todesfahrer „Bill“ seine Runden dreht.

Hinter der Todeskugel: Ben und Bill

Dort will er sich das Leben nehmen, fährt in zwei Stunden 3000 Runden und stürzt schließlich vier Meter in die Tiefe. Kiefer überlebt, landet zunächst in der Klinik – und wird dort von der „Chirurgischen auf die Psychiatrische“ verlegt. Dort sind nicht nur die Patienten, sondern auch die Ärzte verwirrt. Und dort führt Kiefer seine Lebensgeschichte als Theaterstück auf.

In der Psychiatrie: Prof. Strohvater und Dr. Neuross

In der Komödie von Wittlinger gibt es nur zwei Sprechrollen.

Diese werden bei der Premiere der Burgspiele grandios von Martin Steinmetz und Alexander Maier gespielt. Wunderbar, wie Steinmetz den Samuel Kiefer gab – einmal witzig, dann aber auch nachdenklich. Wenn Steinmetz von den Kriegserlebnissen Kiefers berichtete, dann sind dies fesselnde Geschichten.

In gleich fünf verschiedene Rollen schlüpfte Alexander Maier – als der verwirrte Dr. Neuross, Krumbauer aus der Gemeindeverwaltung, Dr. Tresser aus der Versicherungsagentur, den italienischen Gaststätteninhaber und Ganoven Salvatore und Todesfahrer Ben. Einmalig, wie Maier diese wahrlich nicht einfachen Wechsel zwischen den verschiedenen Rollen gelangen.

Und dann waren da noch Nathan und Sofia Daiker, Oliver Kesberger, Jochen Knauff, Marvin Schmitt, Uta Abelmann, Monika Keth und Helene Trundt. Sie schlüpften als Clowns verkleidet in die Rolle der Statisten, nahmen aber auch mit tollen pantomimischen Choreografien den Umbau vor.

Die „Bewohner“ der Nervernheilanstalt in Aktion

So wurden selbst die Pausen nicht langweilig. Unglaublich, wie sich ein Bühnenbild verändern lässt, wenn man einfach nur ein paar Kisten verschiebt und wie toll etwas wirken kann, wenn Clowns Sonnenblumen mit der Angel nach oben ziehen.

Die Clowns beim Sonnenblumen-Angeln

Was das Altleininger Amateur-Theater da auf die Bühne zauberte, hätten auch Profis nicht besser spielen können. Die beiden Regisseurinnen Susanne Rechner und Manuela Spieß legen viel Wert darauf, dass sich die Schauspieler in ihre Rollen hineinversetzen. Dass sie wissen, wie die jeweiligen Personen denken, sprechen oder gehen würden. Und sie legen großen Wert auf Details. Das macht die Vorführungen in Altleiningen so besonders.

Da verschwindet Samuel Kiefer nicht einfach nur von der Bühne, als er ankündigt, mit dem Rad zum Bahnhof zu fahren. Nein, er fährt dann tatsächlich mit einem Fahrrad auch noch über den Burghof. So, dass ihn jeder Zuschauer auch sehen kann. Herrlich, wie Kiefer von seinem Stern, seinem Heimatort berichtet. Und von seiner Milchstraße, den Weg, den er als Fahrer des Milchwagens zurücklegt.

Offen lässt Wittlinger das Ende des Stücks, das die Burgspieler in zwei Stunden jederzeit fesselnd aufführen.

Prädikat: besonders empfehlenswert!

Schlussapplaus