Menschliche Abgründe im Orchestergraben (Roland Happersberger)

 

Quelle: Publikation DIE RHEINPFALZ Regionalausgabe, Unterhaardter Rundschau, Nr.264, Montag, den 14. November 2005

 

ALTLEININGEN: Glänzende Geburtstagsvorstellung: Die Altleininger Burgspiele spielen Anouilh – Ein bunter Abend mit Musik und Tanz

 

Es fängt recht harmlos an: Sieben Damen und ein Herr betreten die Bühne eines nicht unbedingt erstklassigen Caféhauses in einem französischen Kurbad der 1950er Jahre, um das Publikum mit Salonmusik à la „Liebesrausch auf Cuba“ oder, patriotischer, „Kokarden und Hahnenruf“ in Stimmung zu bringen. Zwischen den Stücken oder auch während des routinierten Fiedelns tauscht man, pardon: frau Kochrezepte aus oder streitet über Strickmuster. Und allmählich, während die Show immer notdürftiger weitergeht, schälen sich Liebesdramen aus den Dialogen und Geschichten von verlorenem Leben, beginnt Wahnsinn, aus den Ritzen der schäbigen Alltagskulisse mühsam gespielter „Elegance und Fraulichkeit“ hervorzubrechen.

Jean Anouilhs Einakter „Das Orchester“ erzählt diese Geschichten mit wirksam kalkulierter theatralischer Ökonomie. Der Text irisiert zwischen tragischem Ernst und grotesker Komödie und überlässt es dem Regisseur, welchen Akzent er betont. Susanne Rechner ließ den Zeiger Richtung Komödie aussschlagen – angesichts der schauspielerischen Kräfte, die ihr bei den Altleininger Burgspielen zur Verfügung stehen, und des Anlasses zweifellos die richtige Entscheidung. Denn das „Orchester“ war am Samstag und Sonntag im Theatersaal der Burg zugleich das Geburtstagsfest zum 25-jährigen Bestehen der Burgspiele, und da das Stück schon auf einer Bühne spielt, war es leicht, das „Orchester“ zum Teil eines unterhaltsamen bunten Abends mit Gesang, wirklichem Instrumentalspiel und Tanz zu machen.

Anfängliche Bedenken, dieses Verfahren könnte Anouilhs Stück in Fragmente zersprengen, bewahrheiteten sich nicht, denn die Einlagen konzentrierten sich auf den Beginn, bildeten ein retardierendes Moment kurz vor Schluss und dann das Finale, so dass man die Zuspitzung der parallel geführten Episoden in zunehmender Spannung und durchweg achtbar bis vorzüglich gespielt erleben konnte.

Die sieben Akteure gruppieren sich zu zwei Paaren und einen Trio.

Ute Schmidt (r.) und Antje Kluzik

Ute Schmidt und Antje Kluzik, die einander eine ebenso komplexe wie unglückliche Liebeshandlung erzählen, grundieren gleichsam den Hintergrund und entsprachen den Anforderungen ihrer Rollen vorzüglich.

Donja Reichert

Kyra Schilling und Donja Reichert (r.) verkörperten das Gegensatzpaar der alternden Jungfer und des jungen Mädchens, das seine erotischen Reize bedenkenlos ausspielt. Beide erwiesen sich als Idealbesetzungen.

 

Kyra Schilling

Schilling ließ keine Gelegenheit aus, ihre Begabung zu komischem Grimassenspiel einzusetzen und glänzte besonders in der Szene, in der ihre Rollenfigur, sich für eine aufopferungsvolle Heilige haltend, freimütig erzählt, wie sadistisch sie ihre alte Mutter quält.

 

Anja Gößling, r., Gerlinde Rechner, l. und Martin Steinmetz

Geradezu herrlich ist das Zusammenspiel des Trios: Martin Steinmetz ist der Pianist, der eine kranke Frau zu Hause hat, mit der Cellistin (Anja Gößling) liiert ist und von der Orchesterprinzipalin (Gerlinde Rechner) begehrt wird. Mit vergnügter Grandezza gibt Gerlinde Rechner den alternden Vamp – „Ich hatte Dutzende Männer“ -, dessen Avancen erst dann verfangen, als er die mütterliche Masche ausspielt.

 

Die Rolle des Pianisten verlangt die größte darstellerische Bandbreite. Martin Steinmetz wird ihr ohne Einschränkung gerecht: Erst ist er überlegen-lakonisch, dann das lebensuntüchtige Kind, das seinen Kopf an die Mutterbrust wirft, schließlich entpuppt er sich als perverser Voyeur im Freibad, der sich Größenwahnfantasien hingibt. All das verkörpert er überzeugend, komisch und tragisch zugleich.

Anja Gößling

Anja Gößling als Pianistin-Geliebte, zunächst unauffällig, steigert sich darstellerisch grandios zum Ende hin: Die geliebte Cellistin erträgt es nicht mehr, beim Pianisten immer nur die zweite Geige zu spielen, und setzt ihrem Leben – Knalleffekt zum Schluss – mit der Pistole ein Ende. But the Show must go on.

Alexander Maier

Darum gruppieren sich vorzügliche Einzelbeiträge, die Alexander Maier, zugleich Chef des Lokals, mit dem Theaterstück verknüpt.

Die Burgspieler selbst treten als Chor auf und singen beschwingt und klangschön gar nicht leichte Popsongs (wie „Only You“), auch eine verpoppte Gavotte von Händel.

 

Die jungen Tänzerinnen des Tanzstudios Claudia Dauth, mit den Burgspielen vielfach verbunden, tragen drei einfallsreich choreografierte und ungemein exakt getanzte Stücke bei: ein Augenschmaus in aufwändigen Kostümen.

Jürgen Keth und Uwe Reis, schon oft auf der Burgspielbühne, spielen Gitarre und singen dazu.

Jürgen Keth und Uwe Reis

Und dann gibt es zwei vorzügliche Gesangseinlagen:

Sarah Lewark singt aus dem Musical „Chicago“ …
… und Veronika Wiedekind interpretiert glänzend ein Lied von Fauré und eine Arie aus Gounods „Margarete“.

 

Fazit: Ein in jeder Hinsicht gelungener, höchst einfallsreicher und unterhaltsamer Abend.