Ein Hauptdarsteller zum „Knuddeln“ (Waltraud Werdelis)

 

Quelle: Verlag: DIE RHEINPFALZ, Publikation: Unterhaardter Rundschau, Montag, 29. Juni 2009

 

ALTLEININGEN:
Premiere des Stücks „Die Brüder Löwenherz“ bei den Burgspielen Altleiningen –
Verdienter Jubel für Ensembleleistung

 

Alexander Kröhler heißt der diesjährige Star der Burgspiele Altleiningen. In seiner ersten Rolle, die gleich eine Hauptrolle ist, eroberte der Elfjährige am Samstag bei der Premiere von „Die Brüder Löwenherz“ sein Publikum im Sturm. Das Theaterstück von Eva Sköld nach einer Geschichte von Astrid Lindgren ist auch für Erwachsene sehenswert. Handlung und Botschaft dürfen aber durchaus kritisch hinterfragt werden.

Der Anfang des zweifach preisgekrönten Buchs ist ein trauriger. Der kleine Karl Löwe ist todkrank, und sein von ihm über alles geliebter großer Bruder Jonathan verspricht ihm ein Leben nach dem Tod: im Lande Nangijala, wo er gesund sein und viele Abenteuer erleben werde.

Die Brüder Löwenherz: Karl (Alexander Kröhler) und Jonathan (Georg Kirchner)

Wie der Teufel es will, stirbt Jonathan zuerst – weil er seinen kleinen Bruder, den er liebevoll Krümel nennt, aus dem brennenden Haus rettet. Wenig später folgt ihm Krümel nach Nangijala, denn das sagenhafte Land gibt es tatsächlich. Das Abenteuer, das dort, genauer gesagt im Kirschtal, auf die beiden „Löwenherzen“ wartet, ist jedoch alles andere als spaßig, denn der Tyrann Tengil will es sich unterwerfen, so wie er es schon mit dem Heckenrosental gemacht hat. Dort hockt der mutige Orwar im Kerker und wartet darauf, dass er von Tengil dem Drachenweibchen Katla zum Fraß vorgeworfen wird.

Für Jonathan ist klar: „Es gibt Dinge, die man tun muss, sonst ist man kein Mensch, sondern nur ein Stück Dreck.“ Er will den beiden Tälern im Freiheitskampf helfen, Krümel soll aber im (noch) sicheren Kirschtal bleiben. Doch der Junge denkt gar nicht daran. Zu lange hat er sich in seinem alten Leben hässlich, nutzlos, feige und wie ein Stück Dreck gefühlt, als dass er jetzt kneifen würde. Er folgt seinem Bruder nach und gerät im Heckenrosental in große Gefahr.

Karl wird von Tengils Schergen verhört

Der alles entscheidende Kampf

Alexander Kröhler spielt den Krümel so charmant und zurückhaltend, dass man ihn knuddeln möchte. Seine Unerfahrenheit auf der Bühne gereicht ihm in dem von Susanne Rechner und Manuela Spieß wieder mit sicherem Besetzungsinstinkt ausgewählten und inszenierten Stück nicht zum Nachteil. Im Gegenteil: Der leichte Selbstzweifel, den man bei ihm spürt, passt genau zur Rolle des scheuen, seine Angst überwinden wollenden Krümel. Dennoch agiert der Fünftklässler souverän und überzeugt auch in Aussprache und Körperausdruck. Georg Kirchner ist wie geschaffen für die Rolle des großen Bruders, die beiden harmonieren in jeder Szene wunderbar miteinander.

Neben etlichen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die abwechselnd als Bekannte der Familie Löwe, als Bewohner von Nangijala oder Soldaten des Unterdrückers auftreten, haben einige bewährte Burgspiele-Mimen mehr oder weniger bedeutende Nebenrollen.

Willy Hiebert spielt mit gewohnter Hingabe einen großväterlichen Freund, der die Brüder Löwenherz beschützt und stärkt, Anja Gößling gehört die Rolle der Sofia, Chefin des Kirschtals, die versucht, mit ihren Brieftauben Kontakt zum Nachbartal zu halten. In Hubert (Alexander Maier) hat sie einen wackeren Helfer, ebenso in Jossi (Björn Dinges), bis Krümel ihn als Verräter entlarvt.
Dankbare Parts haben Donja Reichert und Robert Kirchner: Sie dürfen als grausame Handlanger Tengils so richtig die Sau rauslassen. Der Schreckensherrscher hat dagegen keinen einzigen Satz zu sagen, macht aber dennoch mächtig Eindruck. Jochen Knauff verkörpert ihn gespenstisch bleich und in schwarzem Ledermantel äußerst bedrohlich.

Tengil wird von Katlas Feueratem getötet

Als Held und Revolutionsführer Orwar, der – nachdem ihn Jonathan aus der Todeszelle befreit hat – die Talbewohner in eine eindrucksvoll inszenierte Bühnenschlacht gegen den Tyrannen führt, agiert Oliver Kesberger.

Neben den schlichten, aber im Gesamtbild sehr wirkungsvollen Kostümen überzeugt auch das Bühnenbild aus Podesten und Treppchen. Es ist in Anbetracht der zahlreichen Schauplätze im Stück beziehungsweise Buch so einfach und neutral gehalten, dass es mit wenigen Handgriffen und Schiebeaktionen ständig neu zusammengesetzt werden kann. Einziges Manko: Der Vorhang schließt sich deshalb gar zu oft und lässt trotz schöner Überbrückungsmusik oder eingespielter Zeitraffer die Spannung absinken.

Überhaupt stellt sich die Frage, ob das Abenteuerbuch von Astrid Lindgren für die Bühne nicht zu viele Fallstricke bereithält. Manche spannende Passagen und Handlungswendungen müssen zwangsläufig so verkürzt werden, dass sie – wenn man nicht genau aufgepasst hat – fast unlogisch oder banal wirken.

Und dann ist da noch die unbeliebte Frage, was die Autorin mit der Geschichte eigentlich sagen will. Sie sollte unbedingt gestellt werden, denn nicht umsonst wurde Lindgren 1973, als „Die Brüder Löwenherz“ erschien, vorgeworfen, sie verharmlose den Tod.

Wer sich nur auf die Position zurückzieht, hier werde eine anrührende Geschichte über Bruderliebe, Freiheit, Mut und Solidarität erzählt, macht es sich zu einfach.

Am Ende des Kampfes gegen den Drachen Katla und am Ende des jenseitigen Lebens in Nangijala wartet ein zweiter Tod auf Jonathan. Deshalb überzeugt er Krümel vom Sinn eines gemeinschaftlichen Selbstmordes, weil danach ein noch besseres Jenseits warte: das Land Nangilima. Die Brüder tun es und lassen den Leser/Zuschauer mit dem Satz „Ich sehe das Licht“ allein.

Doch auch wenn die Burgspiele Altleiningen in ihrer Inszenierung dieses ethische Problem leider nicht deutlicher sichtbar machen und sich mehr auf die Abenteuerhandlung konzentrieren: Der jubelnde Premierenapplaus für die Ensembleleistung ist verdient. Und auf dem Nachhauseweg über das Stück und seine möglichen Botschaften nachzudenken, ist ja niemandem verwehrt.

Verdienter Schlussapplaus