„Hexenjagd“ (Arthur Miller)
Quelle: Die Rheinpfalz, 23. Juni 2003
Ein Fegefeuer menschlicher Unzulänglichkeiten (Waltraud Werdelis)
ALTLEININGEN: Fulminante Premiere von Arthur Millers „Hexenjagd“ bei den Burgspielen Altleiningen
Welches Unheil religiöser Wahn anrichten kann, davon gibt es in der Geschichte der Menschheit und auch in unserer Zeit Beispiele genug. Und immer stellt sich die Frage, wie die angeblich gottgewollte, doch meist aus politischen Motiven angezettelte Tötung von Menschen, Verfolgung von Glaubensgemeinschaften und Ausrottung von Völkern zu einer Massenbewegung werden konnte und kann. Die Antwort gibt der amerikanische Schriftsteller Arthur Miller in seinem Drama „Hexenjagd“: Es ist die Angst, die alle negativen Gefühle nährt und Menschen dazu bringt, übereinander herzufallen. Die Burgspiele Altleiningen haben sich in diesem Jahr diesem zeitlosen Schauspiel gewidmet und in einer fulminanten Premiere am Samstag die eigene Angst überwunden, ihr Publikum könne nur Komödien vertragen. Sichtlich gefesselt, um nicht zu sagen verhext, verfolgten die Zuschauer im ausverkauften Theatersaal der Burg ein Fegefeuer menschlicher Unzulänglichkeiten – packend inszeniert von Susanne Rechner und glänzend dargeboten von rund 20 Darstellern.
Ende des 17. Jahrhunderts sucht ein längst überwunden geglaubter Hexenwahn die amerikanische Kleinstadt Salem heim. Die junge Abigail hat mit einigen Freundinnen nachts im Wald ein pubertäres Beschwörungsritual vollzogen, um den verheirateten Farmer John Proctor für sich zu gewinnen. Als dies ans Licht zu kommen und ihr der Ruf einer Ehebrecherin droht, stellt sie sich und die Mädchen als Opfer von Hexerei dar und beschuldigt einige bis dato unbescholtene Frauen. Da der Nährboden für den Glauben an dunkle Mächte in der Stadt bereits gelegt ist, wird die Hexenjagd eröffnet. Ein geistlicher Teufelsexperte soll die Vorfälle aufklären und treibt mit seinen Befragungen immer mehr Menschen in die Arme des geltungssüchtigen Richters Danforth und damit an den Galgen.
Dabei entwickelt sich die Handlung aufgrund der Schwächen aller Beteiligten wie eine Kettenreaktion, die nicht mehr gestoppt werden kann und daher im ursprünglichen Wortsinn tragisch zu nennen ist. Da ist zum einen Abigail, die, um sich selbst zu schützen, die Todesspirale antreibt und dazu von dem Motiv geleitet wird, nebenbei die Frau ihres Geliebten auszuschalten. Sie wird in allen Facetten – von aufrichtig liebend bis wahnsinnig vor Hass – glänzend verkörpert von Donja Reichert.
Ihr Gegenpart ist Carla Swierzy als schüchterne Mary Warren, die sich zunächst in der Aufmerksamkeit vor Gericht sonnt, später von Gewissensbissen geplagt das Täuschungsmanöver ihrer Freundinnen aufdecken will und aus Angst letztlich doch wieder umfällt. Ihre Darstellung zu Tränen rührender Verzweiflung ist einfach meisterhaft.
Auf den Leib geschrieben scheint Anja Gößling die Rolle der verbitterten Elizabeth Proctor, die ihrem Mann den Ehebruch nicht verzeihen kann. Ihre Tugendhaftigkeit wird auf dem Höhepunkt der Handlung ihrem Mann zum Verhängnis.
In der Rolle des um die eigene berufliche Existenz bangenden, hinterlistigen Stadtpfarrers Parris überzeugt Martin Steinmetz. Ebenso glaubwürdig und mit gelungen sophistischer Attitüde agiert Timo Hmielorz als Reverend Hale und Dämonenfachmann. Habgier und Dummheit treiben das Ehepaar Putnam an, das die Hexenangst schürt, weil es auf den Besitz der zum Tode Verurteilten scharf ist. Herrlich polternd und zeternd zeigen hier Ute Schmitt und Barry Neuner ihr Können.
In rechtschaffener Naivität schaufeln sich Giles Corey (Willy Hiebert, der trotz des düsteren Stoffes für manchen Schmunzler sorgt) und Rebecca Nurse (Gerlinde Rechner als bodenständige Hebamme) ihr eigenes Grab. Mit perfider Logik und diabolischer Lust am Unrechtsprechen geht Danforth ans Werk. Es könnte die Hexenjagd beenden, doch auch er ist ein Opfer seiner eigenen Schwäche. Alexander Maier meistert den inneren Konflikt des um seine Autorität fürchtenden Richters, als er den Betrug der Mädchen ahnt, aber aus Prinzip keine Gnade walten lässt, mit Bravour. In weiteren Rollen, die allesamt für den Fortgang der Tragödie ihren Teil beitragen, sind Antje Kluzik, Hedwig Häusler, Rudolf Feierabend, Burkhard Hildebrandt, Markus Jotter, Thomas Mann, Heinrich Schumann, Kim Gößling, Veronika Kirchner, Bärbel Aue und Kyra Schilling zu sehen sowie die zehnjährige Franziska Schmitt als fiebernde Pfarrerstochter, deren Zustand die Hexenjäger überhaupt erst auf den Plan ruft.
Den schwierigsten und zentralen Part jedoch hat Robert Kirchner. Er spielt den aufrechten Farmer Proctor, der zunächst hin und her gerissen ist zwischen seiner Frau und Abigail, sich dann zu seiner Schuld bekennt, um den Spuk zu beenden, und schließlich aus Stolz und Loyalität zu den Ermordeten den Tod wählt.
Für seine außergewöhnliche und authentische Darstellung des tragischen Helden durfte er am Premierenende zu Recht den stärksten Applaus empfangen.
Aber auch Susanne Rechner wurde gebührend gefeiert für eine Inszenierung, die von der ersten bis zur letzten Minute spannend und emotional ergreifend ist, die wieder ein homogenes Ensemble präsentiert und in der Bühnenbild und Kostüme dem Fokus des Stückes absolut gerecht werden.