Ein durch und durch verdorbenes Gaunerpack (Waltraud Werdelis)
Quelle: Verlag: DIE RHEINPFALZ Publikation: Unterhaardter Rundschau Ausgabe Nr.139, Datum: Dienstag, 19. Juni 2007
ALTLEININGEN:
Burgspiele Altleiningen feiern Premiere –
„Bettleroper“ hält Mächtigen den Spiegel vor –
Bravouröse Gesangsdarbietungen
Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, hat schon der englische Staatstheoretiker Thomas Hobbes festgestellt. Rund 80 Jahre später nutzte John Gay diese Erkenntnis für ein spektakuläres Bühnenstück, mit dem er die geld- und machtgierige, von Korruption zersetzte Londoner Gesellschaft karikierte. Und wie zeitlos wahr beider Ansichten über die menschliche Natur sind, zeigten die Burgspiele Altleiningen am Samstag in einer beeindruckenden Inszenierung jener „Bettleroper“, die mit einer Geschichte über Halunken, Hehler und Huren den Mächtigen den Spiegel vorhält.
Der Straßenräuber und Frauenheld Macheath soll an den Galgen kommen, weil Hehler Peachum und seiner Frau missfällt, dass Macheath heimlich Tochter Polly geheiratet hat. In Gefängnisdirektor Lockit, seinem Geschäftspartner, findet Peachum einen Verbündeten, der nur darauf wartet, den Schwängerer seiner Tochter Lucy hängen zu sehen. Während sich Polly und Lucy eifersüchtig an die Gurgel gehen, sucht der mehrfache Herzensbrecher im Kittchen nach einem Ausweg. Er verspricht Lucy die Ehe, wenn sie ihm mit Vaters Gefängnisschlüssel zur Flucht verhilft. Leider hat er die Rechnung ohne Polly gemacht, und vor dem Galgen kann ihn letztlich nur der Bühnenautor selbst bewahren.
Die Handlung ist so simpel wie in der damaligen Oper, über die Gay sich lustig macht. Das Stück lebt eher von der Zeichnung der Charaktere und dem Sarkasmus, mit dem die Herrschenden gehörig eins auf den Deckel bekommen. Dies haben Ingo Sax mit seiner modernen Textfassung und Susanne Rechner mit einer pointierten Regiearbeit hervorragend umgesetzt. Obwohl oder vielleicht gerade weil die Regisseurin das Stück mit prächtigen Kostümen und hoher Schminkkunst zur Zeit von Charles Dickens spielen lässt, kann sich der Kapitalismus des 21. Jahrhundert ungehindert Bahn brechen: Jeder beutet jeden aus, Diebstahl und Bestechung werden zu marktwirtschaftlichen Prinzipien erhoben, Eltern verkaufen ihre Kinder in die Hurerei, und für eine Handvoll englischer Pfund werden beste Freunde verraten, die das noch nicht einmal übelnehmen.
Und so gibt es in diesem Jahr wieder viel zu lachen im Theatersaal auf der Burg, auch wenn man ob der derben und unmoralischen Reden des Gaunerpacks manchmal ganz schön schlucken muss. Die verkommensten Subjekte sind zweifellos Peachum (Thomas Herold) und seine Frau, die nur deshalb gegen eine Ehe zwischen Macheath und Polly sind, weil ihre Tochter dann keine Freier mehr bedienen kann. „Sie liebt ihn! Und das nach 16 Jahren meiner Erziehung“, ist noch ein relativ harmloser Auswurf der verschlagenen Hexe, die von Kyra Schilling gnadenlos gut und witzig verkörpert wird.
Gewohnt professionell agiert Willy Hiebert in der Rolle des Lockit, und Donja Reichert, gleichermaßen erfahren auf der Burgspiel-Bühne, gibt die Bordellchefin mit Hang zum Luxus. Timo Hmielorz ist ebenfalls wieder dabei. Souverän und sympathisch spielt er den Captain Macheath, wobei man ihm den Schwerenöter nicht ganz abnehmen mag. Vielleicht soll er im großen Heer der Diebe und Huren, deren Darsteller sowohl in stummen wie in kleinen Sprechrollen sehr bühnenpräsent sind, hier aber nicht alle genannt werden können, als einer herausstechen, der halbwegs integer ist. Denn selbst die süßen Früchtchen Polly und Lucy (hervorragend besetzt mit Lucia Berlanga und Britta Schumann), die lange romantisch-unschuldig scheinen, schrecken am Ende vor nichts zurück, auch nicht vor Mord.
Ein wenig druckvoller und temporeicher könnte man sich die Inszenierung der Farce wünschen, aber bei mehr als 20 Figuren auf der nicht allzu großen Bühne muss wohl manches etwas statisch bleiben. Ein absolutes Glanzlicht setzt der musikalische Teil der „Bettleroper“. Die Darbietung der flotten Lieder, die Manuela Spieß mit einzelnen Spielern und der großen Gruppe einstudiert hat, verlangen Bewunderung. Alle meistern diese Herausforderung mit Bravour.