Prädikat wertvoll
Quelle: Rheinpfalz vom 28.07.2023 – Markus Clauer
Kulturreporter to go: Beim Verein Freilichtbühne Burgspiele Altleiningen, einem Theaterenthusiasten-Projekt, das seit 43 Jahren existiert und bei dem sich freundliche Umweltingenieure in fiese Glasbläser verwandeln. Susanne Rechner führt die Bühne, die gerade Hauffs „Das kalte Herz“ spielt, ehrenamtlich und in Vollzeit. Mehr Liebe geht nicht. Von Markus Clauer
Ein eher un-netter Typ, der Karl, erscheint mir so, Sonntagabend auf der Altleininger Burg, ein trinkfester Glasbläser und Stänkerer, der im Wirtshaus aus der Rolle fällt, – oder vielmehr nicht fällt. Auf offener Bühne jedenfalls bekommt er eine gescheuert. Vom Kohlenbrenner-Peter Munk mit dem wechselwarmen Herzen, ach, in seiner Brust. Das heißt, eigentlich von Felix Decker, der 18 und statt mit fossilen Brennstoffen als Schüler im normalen Leben noch mit Lernstoff beschäftigt ist.
Man weiß das alles, weil es sich halt um Theater handelt: Wilhelm Hauffs Märchenstück „Das kalte Herz“ in der Fassung von Alise Höhn, das im 19. Jahrhundert spielt. Mittwochs morgens dann sitzt der Glasbläser-Karl dem Kulturreporter im Freizeitdress auch als der, der er wirklich ist, auf der Bühne gegenüber: Markus Barnert, ein rollenkonträr sanftmütig wirkender Umweltingenieur aus Höningen in einer Kulisse aus Sausenheimer Wellpappe. Sein freundliches, bärtiges Gesicht. Er spricht auch weniger voluminös. Jungsgeschrei schallt durch die Tür ins historische Gemäuer, in dem das Hauff-Stück über einen Jungen, Arbeiterschicht, der sein Herz verkauft, um reich, böse und unglücklich zu werden, am nächsten Sonntag zum letzten Mal läuft. Läuterung und Happy-end inklusive. Markus Barnert ist neben Glasbläser Karl auch so etwas wie ein Aktivist. Der stellvertretende Vorsitzender des Vereins Freilichtbühne Burgspiele Altleiningen. Die er formal vertritt, sitzt zwei Hocker weiter: Susanne Rechner, so etwas wie Kopf und Gehirn der Vorzeige-Amateurtheatertruppe aus der 1800-Einwohner Gemeinde. Und das in zweiter Generation. Die Vorsitzende, Regisseurin, Verwaltungsfachfrau, Bilanzbuchhalterin, Gema-Beauftragte und Ehefrau von Martin Steinmetz, der mitgekommen ist und das Marketing macht für den „I-Club“. So nannte Susanne Rechners Vater Willy die von ihm gegründete, zunächst noch lose Gruppe. „I“ für „Idealisten“ und „Idioten“, wie sie übersetzt.
Am Anfang war, wie in einer 2005 zum 25. Jahrestag des Burgspiele-Bestehens herausgegebenen Festschrift steht, ein unscheinbares Inserat, das am 20. September 1979 unter „Sonstige Nachrichten“ im Amtsblatt Hettenleidelheim erschienen ist: „Theatergruppe Altleiningen sucht Helfer und Mitwirkende. Damen und Herren, die anlässlich der 1200-Jahr- Feier von Altleiningen bei der Theatergruppe Burgspiele Altleiningen als Schauspieler, Bühnentechniker, Maskenbildner, Maler, Ton- und Lichttechniker mitwirken wollen, mögen sich bitte melden bei Willy Rechner, Mozartstraße 1, Altleiningen“. Eine, die sich gemeldet hat, ist Ute Schmitt. 44 Jahre später, im Hauff-Stück, spielt sie jetzt die Munkin, Peter Munks Sohngeplagte Mutter. Inzwischen ist die Freilichtbühne eine über das Leininger Land strahlende Institution.
Theater der offenen Türen Gespielt wird in einem eigenen Theater, wenn man so will. Einem von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Saal auf der zur Jugendherberge umgenutzten Burgruine. Vor über 200 Zuschauenden. Meist ist restlos ausverkauft. Das „Freilicht“ fällt durch die offenen Türen auf die Bühne. Das Publikum spendet Szenenapplaus. Der Verein hat 110 Mitglieder – Alter: zehn bis über 80 –, die zuallermeist aus der Gegend stammen. Das „Mehrgenerationen-Projekt“, wie Markus Barnert das nennt, gehört selbst zum offiziellen Freilichtbühnenverband. Und die studierte Historikerin Susanne Rechner, Jahrgang 1964, die, wie schon so sehr oft, auch Hauffs „Das kalte Herz“ inszeniert hat, betreibt das Ehren- als mit Applaus bezahltes Hauptamt, das in der Sommersaison über die 40-Stunden-Woche weit hinausgeht. Derweil kommt Peter Steidel vorbei, um noch einmal kurz die Technik zu checken. Durch eine Öffnung auf der Bühne verschwindet der ältere Herr über einen Stuhl nach unten, auf dem normalerweise die Souffleusen Anja Gößling und Edda McColgan Platz sitzen. Wie die beiden ist auch er so einer, ohne den die Burgspiele nicht stattfinden könnten.
Susanne Rechner sagt, dass jetzt auch wieder um die 40 Akteure und Helferinnen beteiligt seien, schauspielernd, in der Maske, an der Kasse, als Musiker, Techniker, beim „Hofdienst“, Schreinern, Schneidern und Plakatentwerfen. Die Kostüme, die das Historische mit aufgemalten Schleifen fein verfremden, hat sich zum Beispiel Kim Karen Eckert ausgedacht. Eine heimgekehrte Web-Designerin, die wieder mitmacht. Die Julia aus Shakespeares 2019 aufgeführtem Klassiker indes steht jetzt im Ausschank.
Mercutio, Leon Radmacher im richtigen Leben, ist diesmal als Tanzbodenkönig auf der Bühne unterwegs. Zechbruder Ezechiel (Klaus Stemler) hat vor seiner Rente die RHEINPFALZLokalredaktion in Grünstadt geleitet. Der Holländer-Michel des Stücks, Willy Hiebert, 75 und begabt, ist aus Paraguay eingewandert und spricht mit leicht ostpreußischem Akzent.
„Karl“ Markus Barnert erzählt jetzt offen über seine Motivlage: Dass es ihm zunächst einmal darum gegangen sei, Anschluss zu finden, als er 2019 mit seiner Familie hergezogen ist. An Bühnenpräsenz hat er bei seinem Vereinseintritt gar nicht gedacht. Mittlerweile sind die Burgspiele für ihn so etwas wie ein „dritter Ort“ – der Raum auch für die identitätsstiftende Gemeinschaftspflege, um es etwas akademisch auszudrücken. Für Vereinsmeierei, Prädikat kulturell wertvoll, die touristisch verwertbar ist.
Der Karl nebenher Barnert sagt, wer mitspiele, selbst in einer kleinen Nebenrolle, müsse dafür in den Probephase aber schon auch drei bis vier Mal die Woche antanzen. So 60 Termine, schätzt er, hat er am Ende im ersten Halbjahr damit zugebracht, nebenher „Karl“ zu sein. Man gehe schon eine „Verbindlichkeit“ ein. Mache er sehr gerne, sagt er noch. Regisseurin Susanne Rechner derweil beschäftigen die Dinge, etwa wie sich die verkauften Herzen in ihrer Hauff- Inszenierung darstellen lassen, oft bis in die Nacht.
Es hat sich einiges geändert, seit sie nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters Willy Rechner, der 1983 starb, für die Regie eingesprungen ist. Mit Mutter Gerlinde an ihrer Seite und zunächst einige Jahre, bis er weggezogen ist, mit Carsten Gößling als Team. Es lässt sich nicht anders beschreiben, aber bei Susanne Rechner ist die Leidenschaft genetisch bedingt. Vater Willy Rechner war auch heilloser Theaterenthusiast. Ein durch den Zweiten Weltkrieg verhinderter Schauspieler, der Lehrer wurde, um bei der Berufung Bühne zu bleiben. In Mannheim zuerst, später dann in Altleiningen. Das Stück, das zur 1200-Jahr-Feier der Gemeinde 1980 aufgeführt wurde – „Des Weibes Sünde ist des Mannes Schuld“ – hat er selbst verfasst. Folgewerke dann, damit nicht ausschließlich der Name Willy Rechner im Programmheft steht, unter Pseudonym geschrieben. Pedro Parellio nannte er sich. Und Carlos Ribera.
Anfangs, sagt Tochter Susanne, seien hauptsächlich Mantel- und Degen-Stücke gegeben worden, ganz nach Zeitgeschmack. Ausgewählt wird in einem Gremium. 1997 wollte der Verlag im letzten Moment verhindern, dass das Amateurtheater den Krimi „Warte, bis es dunkel wird“ spielt – und war dann doch mit dem Ergebnis froh. Inzwischen stehen Werke wie George Bernhard Shaws „Helden“, Arthur Millers „Hexenjagd“, Jura Soyfers „Weltuntergang“, Shakespeares „Sommernachtstraum“ oder Carl Zuckmayers „Katharina Knie“ auf der Aufführungsliste. Eine Sprecherzieherin kümmert sich. Ex-„Burg-Schauspieler“ Helgi Schmid ist unter anderem in Reihen wie „Tatort“ und „Polizeiruf“ oder als Sidekick von Matthias Matschke zu sehen gewesen. Paul M. Feldmann, der durch die Altleininger Schule ging, ist für „Fett und Fett“ (lief auf ZDF neo) als Drehbuchautor für den Grimme-Preis nominiert worden.
Hänsel und Gretel im WaldSusanne Rechner erzählt jetzt von der schon wie Äonen-fern wirkenden Corona-Zeit. „Nicht lustig für uns“, sagt sie. Immerhin haben die tendenziell in der Minderheit sich befindenden Jungen unter den Mitgliedern 2022 aus der Not heraus einen Film gedreht, nach eigenen Ideen: „Bright Lights – Drogen sind keine Lösung“. Er wurde dann auf der Bühne ab- und zu Ende gespielt – mit einem unterschiedlichen Schluss, über den das jeweilige, notgedrungen spärliche Publikum entscheiden konnte. „Hänsel und Gretel“ ist als Stationendrama im Wald aufgeführt worden. Außerdem haben die Burgspiele Altleiningen in der Zeit beschlossen, den Rhythmus zu ändern. Statt jedes Jahr im Sommer eine große Produktion wie „Das kalte Herz“ zu stemmen, werden jetzt in jedem zweiten Jahr zwei kleinere Produktionen im Frühjahr und Herbst folgen, die Susanne Rechner, sagt sie, – „soweit das geht“ – anderen überlassen will. Mehr gehe – auch bei ihr selbst – nun mal nicht, sagt sie noch. Bei aller Liebe. Der nette Markus Barnert, der noch drei Mal zum un-netten Karl mutiert für dieses Jahr, lächelt. Der Kulturreporter tritt beeindruckt ab.